Maximale Höhe: 1039 m
Minimale Höhe: 712 m
Gesamtanstieg: 580 m
Gesamtabstieg: -302 m
Etappe 18 | Münchner Jakobsweg | Kempten – Eschach
Unsere zweite Nacht in Kempten wurde bis Mitternacht durch die Live-Musik im Lokal direkt unter uns begleitet. Das störte mich dank Ohrstöpsel nicht sonderlich. Welch eine geniale Erfindung diese kleinen Schwämmchen, die man sich in die Ohren steckt, doch sind!
Nach dem Frühstück mit frischen Semmeln vom Bäcker gegenüber brachen wir auf. Eine Frage drängte sich uns bezüglich des Check-outs auf: Wohin mit dem Zimmerschlüssel? Eine Rezeption gab es nicht, auch keine Schlüsselbox oder dergleichen. Sowohl wir als auch die Betreiber versäumten diese Frage gleich beim Check-in zu klären, und das dazugehörige Lokal machte, unseren Wissens nach, erst um 10 Uhr auf. Dabei wollten wir unbedingt zeitig losmarschieren…
Nun schlug ich vor, einfach erst einmal unten vor dem Lokal zu schauen, ob es eine Möglichkeit gäbe, den Schlüssel sicher abzugeben oder zu deponieren. Und siehe da: Das Team der „Alten Schmiede“ war bereits gegen 8 Uhr im Restaurant zugange und machte klar Schiff nach der gestrigen Party. Toll!
Nachdem das Schlüsselproblem gelöst war, machten wir uns Richtung Bushaltestelle auf. Wir hatten gestern beschlossen, die ersten drei Kilometer mit dem Bus zurückzulegen und in der Nähe des Jakobsweges auszusteigen.
Die Mariaberger Straße führte uns aus Kempten hinaus und stetig bergauf zu unserem nächsten Ziel, der Kapelle Maria Heimsuchung. Wir gewannen langsam aber stetig an Höhe und blickten immer wieder auf die vom Nebel umhüllte Stadt Kempten zurück.
Den Anstieg fand ich überaus mühsam und verfluchte im Geiste den doch zu schwer gewordenen Rucksack. Die weisen Worte unserer Marktoberdorfer Herbergsmutter Helga hallten in meinem Kopf. Für den Moment konnte ich aber nichts anderes machen, als mich mit vor Anstrengung rotgewordenem Kopf vorwärts zu kämpfen.
Als ich so in einem recht miserablen körperlichen und geistigen Zustand nach oben kroch – Domi war natürlich mittlerweile viel weiter vorne – holte mich ein schneller Spaziergänger ein und kommentierte unsere Anwesenheit sogleich. Viele Sünder hier unterwegs, ließ er lächelnd verlauten. Ich war etwas perplex und konnte auf die Schnelle keine adäquate Antwort liefern. Ich dachte später nur bei mir: Na ja, wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
In der Kapelle holten wir uns die wohlverdienten Pilgerstempel. Der benachbarte Landgasthof mit Biergarten war noch geschlossen. Also aßen wir ein paar Apfelspalten und einen Nussriegel bevor wir weitergingen.
Der offizielle Jakobsweg biegt nach dem Gasthof von der Mariaberger Straße rechts auf einen Panoramaweg ab. Wir beschlossen jedoch, weiter der Straße zu folgen, denn das Wetter war immer noch sehr trüb und neblig, auf weite Aussichten konnten wir daher eh nicht hoffen. Es genügte uns das, war wir jetzt schon zu sehen bekamen.
Als wir an einer Kuhherde mit Kuhglocken vorbeigingen, fiel mir zu ersten Mal so richtig auf, wie laut es sein kann, wenn alle Kühe gleichzeitig in Bewegung sind. Man stelle sich das nur vor: Man ist ein Teil einer Gruppe, die sich ständig nur durch bloße Bewegung einer durchdringenden Geräuschkulisse aussetzt. Man wird dem Ganzen rund um die Uhr ausgesetzt und ist dabei selber ein Teil des Problems. Ob man will oder nicht.
Am Herrenwieser Weiher ging es für uns nach rechts Richtung Ermengerst weiter. Je näher wir der Ortschaft kamen, desto mehr Spaziergängern und Ausflüglern begegneten wir. Das mittlerweile sonnige Wetter am heutigen Sonntag lud förmlich zur Bewegung an der frischen Luft ein.
In der Ortsmitte angekommen, ließ uns der Hunger das wunderbare Landgasthof „Alte Säge“ aufsuchen. Zum Glück bekamen wir in dem gut gefüllten Restaurant noch einen Tisch. Das Mittagessen schmeckte hervorragend und wurde sehr ansprechend angerichtet.
Unsere Pause nutzten wir nicht nur zur leiblichen Stärkung, sondern auch für die Suche nach weiteren Unterkünften. Die nächsten zwei Nächte waren zwar gesichert, aber da wir wussten, wie schwierig sich die Suche bisher gestaltete, wollten wir vorsorgen. Es war frustrierend. Nichts Vernünftiges war zu finden. Alternativrouten wurden überlegt und nach kreativen Lösungen gesucht. Das Alles blieb erst einmal ohne Erfolg. Wir beschlossen die Suche auf heute Abend zu vertagen, schließlich hatten wir noch eine Strecke bis zur unserer heutigen Unterkunft zu bewältigen. Also nichts wie los.
Nach einem kurzen Besichtigungsstopp in der Ermengerster Kirche Johannes der Täufer schlugen wir einen alternativen Weg zum offiziellen Jakobsweg ein, der direkter zu unserem Ziel führen sollte, schließlich wollten wir nicht nach Buchenberg im Süden, sondern nach Eschach im Westen. Daher ging es für uns ein wenig bergauf, wo ein Stück des Weges durch einen Wald lief, in dem wir rechts und links des Weges einige Steinmännchen bewundern konnten.
Irgendwann wurde aus dem breiten Waldweg ein schmaler Pfad, bis er plötzlich am Waldesrand komplett verschwand. Vor uns breitet sich eine ziemlich abschüssige Weide aus. Es half alles nichts, da mussten wir jetzt vorsichtig runter. Unten am Sägewerk angekommen, blieben wir kurz stehen, um zu prüfen, ob wir die kleine Straße rechts oder links gehen müssen. Wir konsultierten das Internet und gingen dann links nach Wagenbühl, von dem es zwei durch einen Wald getrennte Teile gibt. Wie witzig.
Normalerweise geht der Jakobsweg ab dem westlichen Wagenbühl südlich nach Buchenberg runter. Allerdings hatten wir in Buchenberg keine freie Unterkunft mehr gefunden und deshalb am Vortag eine pilgerfreundliche Familie in Eschach kontaktiert. Glücklicherweise hatten sie noch ein Pilgerzimmer für uns frei. In der Unterkunftsliste für Jakobspilger gab es einen Vermerk, dass die Familie Maidel sogar einen Abholservice von Buchenberg anbietet.
In dem Telefonat mit Frau Maidel erfuhren wir, dass es in der Eschacher Kirche mittlerweile auch einen Pilgerstempel gibt. Außerdem wurden sie für diesen Sonntag auf den Geburtstag ihrer Tochter eingeladen und würden deswegen den größten Teil des Tages nicht zu Hause sein. Auf Basis dieser Informationen beschlossen wir, nicht nach Buchenberg zu gehen, sondern den direkten Weg nach Eschach zu nehmen. So konnte die Familie den Geburtstag genießen und musste sich nicht zusätzlich um die Abholung von uns Pilgern kümmern.
Gesagt, getan. Zum dritten Mal an diesem Tag verließen wir den Jakobsweg. Unterwegs erblickten wir einen Wegweiser, auf dem „Vor der Einöde“ stand. Und so rätselten wir, wo sich wohl die besagte „Einöde“ wohl befinden mag. Liegt sie hinter dem angezeigten Ort oder stehen wir zwei gerade in der Einöde? Wenn wir dem Wegweiser folgen und dort angekommen zurückblicken würden, sähen wir den Ort, wo wir jetzt gerade stehen und würden ihn vielleicht als die erwähnte „Einöde“ erkennen. Diese Überlegungen fanden wir sehr amüsant.
Wie geplant besuchten wir die Kirche St. Sylvester in Eschach und stempelten unsere Pilgerausweise ab. Eine Belohnung für die zum Teil abenteuerlichen Wege heute.
Nach den vielen Höhenmetern, die wir heute zu bewältigen hatten, mussten wir zum Schluss noch den letzten Hügel, auf dem der Ferienhof der Familie Maidel thront, erklimmen. Uns reichte es für heute. Wir waren fix und fertig. Uns war eins klar: Zum Abendessen gehen wir ganz sicher nicht wieder runter in den Ortskern, um uns dann wieder auf den Hügel zurück kämpfen zu müssen. Wir essen einfach das übrig gebliebene Proviant und gut ist.
Da unsere Gastgeberin nicht genau sagen konnte, wann sie wieder von der Geburtstagsfeier zurück sein werden, beschrieb sie uns, wie wir zu unserem Zimmer gelangen. Das rustikal eingerichtete Pilgerzimmer mit einem stilechten Bauernschrank war sehr großzügig geschnitten. Das Etagenbad teilten wir uns mit einer älteren Dame mit ihren zwei erwachsenen Töchtern. Außerdem gab es auf der Etage eine winzige Teeküche.
Abends suchte uns Frau Maidel auf, um uns zu begrüßen und gleich bei der Gelegenheit zu fragen, wie viele Semmeln wir zum Frühstück bräuchten. Gerne dürften wir auch gleich welche als Proviant dazu bestellen, schlug sie uns vor. Das taten wir auch. Heute telefonierte ich mit meinem Mann Alfred. Ich brauchte ein offenes Ohr und Zuspruch. Die Pilgerei wurde diesmal zur Zerreißprobe. Der zu schwere Rucksack und die frustrierende Unterkunftssuche machten mir zu schaffen. Noch vier Tage bis nach Lindau oder Bregenz. Wo genau unsere Pilgerreise am Bodensee enden sollte, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das würde sich noch zeigen.
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