Maximale Höhe: 1082 m
Minimale Höhe: 815 m
Gesamtanstieg: 204 m
Gesamtabstieg: -471 m
Etappe 19 | Münchner Jakobsweg | Eschach – Weitnau
Der zauberhafte Sonnenaufgang, den wir aus unserem Zimmerfenster aus beobachten durften, versprach einen schönen Tag.
In der kleinen Teeküche wartete bereits ein Korb mit vielen guten Dingen fürs Frühstück auf uns. Wir machten uns Tee und genossen die frischen Semmeln und andere Leckereien aus dem Korb. Zum Schluss bereiteten wir uns noch Proviant vor und spülten das benutzte Geschirr ab.
Kurze Zeit später verabschiedeten wir uns von der netten Gastgeberin und traten vor die Haustür. Uns umhüllte sogleich die intensiv aromatische Luft eines Bauernhofes. Als wir jedoch aus dem olfaktorischen Radius des Ferienbauernhofes hinausgetreten waren, merkten wir, wie herrlich frisch und klar die Morgenluft an diesem Tag war.
Nach etwa drei Kilometern stießen wir in Schwarzerd wieder auf den von Buchenberg kommenden Jakobsweg. Der alte Bahndamm Isny – Kempten, auf dem seinerzeit das liebevoll genannte Isny-Bähnle verkehrte, wird heutzutage als Wander-/Jakobsweg genutzt. Im Gegensatz zur einer nördlichen Jakobswegvariante, die über das Sonneneck führt, ist die südliche Bahndammvariante wesentlich gerader und ebenerdiger.
Da wir heute gerne auf unnötige Höhenmeter rauf und runter verzichten wollten, entschieden wir uns der stillgelegten Bahnstrecke bis nach Weitnau zu folgen.
Auf einem Wegweiser wurde der Zeitbedarf bis Weitnau mit zwei und ein Viertel Stunden angegeben. Nun ja, so wie wir uns kennen, werden wir für die Strecke um einiges länger brauchen. Ich für meinen Teil hatte bis jetzt jeden Tag mit Fußschmerzen zu kämpfen, die ich mit mehreren Schmerztabletten täglich stillen musste. Mein Eigengewicht und das zu hohe Gewicht meines Rucksacks forderten ihren Tribut. Leider.
Südlich von Schwarzerd tauchten wir in einen schönen Wald hinein. Irgendwann erblickten wir in der Ferne eine schnellgehende junge Wanderin mit einem auffälligen grünen Rucksack. Eine Pilgerin? Das konnten wir aus dieser Entfernung nicht erkennen. Sie kam so schnell voran, dass wir wenig Hoffnung hatten, sie nochmal zu sehen. Bei unserer Geschwindigkeit erschien es uns eher unwahrscheinlich, sie je einholen zu können. Aber wie wir wissen, sollte jeder in seinem eigenen Tempo pilgern.
Nach einiger Zeit kamen wir an ein Ensemble von drei Infotafeln. Zwei davon informierten uns darüber, dass wir uns an der Wasserscheide Rhein – Donau befinden und eine weitere erzählte die Geschichte der Isny-Bahn.
Als wir später aus dem Wald traten, weitete sich der Blick. Sanfte grüne Hügel, kleine und größere Baumgruppen gaben ein liebliches Bild ab. Fast schurgerade und scheinbar endlos ging es Richtung Weitnau weiter.
Irgendwann erblickten wir auf der rechten Seite weiter vom Weg entfernt die Frau mit dem grünen Rucksack im Gras sitzen. Da sie nicht unmittelbar am Wegesrand saß, wir weiterhin keine Jakobsmuschel bemerkten und sie sich obendrauf sehr konzentriert mit ihrem Handy zu beschäftigen schien, wollten wir sie nicht stören und gingen einfach weiter des Weges.
Kurz darauf vernahmen wir ein freundliches „Buen Camino!“. Anscheinend wurden wir dank der Jakobsmuscheln am Rucksack als Pilger identifiziert. „Danke!“, riefen wir zurück. „Gleichfalls, oder?“, warf ich noch hinterher. Ein knappes „Ja“ seitens der Wanderin bestätigte unsere diffuse Vermutung! Wir sind endlich unserer ersten aktiven Jakobspilgerin begegnet, auch wenn die Begegnung in diesem Moment nur von kurzer Dauer war.
Es würde uns allerdings nicht wundern, wenn es nicht dabei bliebe. Bei dem Speed, den die Jakobspilgerin drauf hatte, würde sie uns über kurz oder lang sicherlich einholen. Ein kleines Steinchen, der sich in meinen Schuh verirrte, beschleunigte es. Während ich den Wanderschuh leerte, näherte sich die Frau uns auch schon.
Wir stellten uns gegenseitig vor. Sie hieße Bettina und komme aus dem Westerwald, verriet sie uns. Dort möchte sie einen Pilgerweg etablieren. Außerdem absolvierte sie einen Lehrgang zur Pilgerbetreuerin für Gruppen. Das beeindruckte uns sehr. Weder ihr Mann noch die erwachsene Tochter wollten mit auf den Jakobsweg, also machte sie sich alleine auf den Weg und startete in München ihr Abenteuer.
Bettina berichtete uns von den Schwierigkeiten bei der Suche nach den Übernachtungsmöglichkeiten zwischen München und dem Ammersee. Hinter dem Ammersee wurde es mit den Unterkünften leichter. Das konnten wir bestätigen. Für heute habe sie in Weitnau noch keine Bleibe gefunden und suchte während ihrer letzten Pause fieberhaft danach. Ob wir eine hätten, fragte sie uns. Das konnten wir zum Glück bejahen.
Auf ihre Frage nach unserem Verwandtschaftsgrad, antwortete ich mit den Worten: „Ja, wir sind Mutter und Toch… äh Sohn.“ Mein eigener Versprecher überraschte mich nicht schlecht. In den letzten Monaten unterhielten wir uns mit Domi immer wieder über Geschlechtsidentität und Ähnliches. Über diese Inhalte dachte ich sehr intensiv nach und vernahm auch gewisse Schwingungen seitens meines Kindes. Und jetzt dieser Versprecher. Ein Freud’scher Versprecher? Hm… Wer weiß, was da noch kommt. Es bleibt jedenfalls spannend.
Nun wurde es Zeit, den Weg nach dem netten Plausch fortzusetzen. Wir ließen Bettina weiterziehen und gingen in unserem langsameren Tempo hinterher. Wir sahen sie zu den Speckbacher Wasserfällen hinunter steigen, aber wir selber verzichteten auf dieses Vergnügen und gingen daran vorbei.
Als wir später abseits des Weges auf einer Wiese rasteten, überholte sie uns zum zweiten Mal. Wir winkten uns freudig zu. Ob wir uns je wiedersehen würden?
Auf dem weiteren Weg stießen wir auf eine Schutzhütte und beschlossen eine Essenspause einzulegen. Auf dem Rad- und Wanderweg nach Weitnau gab es keine einzige Bank. Die vernünftige Sitzgelegenheit in der Hütte wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen und machten uns mit unserem Proviant breit.
Wir blieben allerdings nicht lange allein. Ein Vater mit zwei kleinen Söhnen gesellte sich zu uns. Sie machten einen Fahrradausflug zu den Speckbacher Wasserfällen. Ein netter Plausch entwickelte sich. Der junge Vater stellte uns die Frage nach der Motivation für unsere Pilgerreise. Immer wieder frage ich mich auch selber nach dem Grund für das doch anstrengende Unterfangen. Ich denke, Abenteuerlust und die Begegnungen mit den Menschen führen die Liste an, auf der sich unter anderen auch die Besichtigung der sakralen Bauten oder das Naturerlebnis wiederfinden.
In Weitnau angekommen, steuerten wir sogleich die Kirche St. Pelagius an. Nachdem wir den Kirchenvorplatz betreten hatten, hörten wir Rufe. Und siehe da: Bettina sitzt auf einer Bank unter den Bäumen und macht sich bemerkbar. Sie war bereits in der Kirche und schwärmte von der Innenausstattung. Außerdem hat sie ein Zimmer im benachbarten Gasthof Krone bekommen. Für heute ist die versorgt. Wie schön! Wir wünschten uns alles Gute und gingen die Kirche besichtigen.
St. Pelagius ist eine ungewöhnliche Kirche, wie ich finde. Sie ist sehr farbenfroh, geschmückt mit neugotischen Figuren, einer Kassettendecke und Wandmalereien, die die Vorläufer einer Mustertapete sein könnten.
Nach der Besichtigung der Kirche checkten wir die Informationen am Eingang zum Gasthof Krone. Zwischen 17:30 und 19:00 würden hier einfache Gerichte angeboten. Da wollten wir später hin, hatten aber noch eine gute Weile Zeit. Also gingen wir zuerst zu unserer heutigen Unterkunft, die sich am südlichen Ende der Ortschaft befand. Die Gastgeberin informierte uns im Vorfeld, wie wir reinkommen. Wir fanden rasch unser Zimmer, duschten und wuschen unsere Kleidung in der Waschmaschine, zudem gab es sogar einen Wäschetrockner. Wahrlich ein Luxus auf dem Jakobsweg.
Gerade als wir im Begriff waren aus dem Haus zu gehen, kam die ältere Schwäbin, bei der wir untergekommen waren, vom Einkaufen zurück. Wir machten uns gegenseitig bekannt und plauderten eine Weile. Eine nette ältere Frau. Wir klärten, wie es morgen mit dem Frühstück und dem Auschecken läuft.
Als sie erfuhr, dass wir gerade essen gehen wollten, empfiehlt sie uns das Bräustüble am anderen Ende von Weitnau. Das klang auf jeden Fall nett und erinnerte mich an das Bräustüberl in meiner Lieblingsserie „Sturm der Liebe“. Da wir meistens davon ausgehen, dass sich die Einheimischen doch am besten in ihrer Gegend auskennen, schmissen wir den Plan mit Gasthof Krone um und gingen zum Bräustüble. Später stellte sich leider heraus, dass es ein Fehler war.
Es hatte eine gute Weile gedauert, bis wir das Bräustüble erreichten, es lag nämlich von uns aus gesehen genau am anderen Ende von Weitnau. Auf dem Weg dorthin warfen wir einen Blick auf den Gasthof Goldener Adler, der heute leider Ruhetag hatte. Er wäre nämlich unsere allererste Wahl gewesen. Aber da wir wussten, dass er zu hat, gab es überhaupt den Plan B mit dem Gasthof Krone. Am Ende ist es der Plan C geworden.
Den zum Teil mit Besuchern belegten Außenbereich des Bräustüble wollten wir nicht nehmen. Wir bevorzugen an sich den Innenbereich der Lokale, meistens wegen Faktoren wie Straßenlärm, Sonne, Zigarettenrauch und unbequemeren Sitzgelegenheiten. Also gingen wir auch diesmal rein und setzten uns an einen Tisch in der leeren Gaststube.
Wir schauten uns um und realisierten sogleich, wo wir hier gelandet waren. Wenn man die Rezensionen im Internet liest, stößt man bei der Beschreibung dieses Etablissements am häufigsten auf das Wort „urig“. Wenn ich jetzt ganz frei das Wort „urig“ mit der Bedeutung „alt, rustikal, heruntergekommen, schmuddelig und fleckig“ belegen dürfte, würde ich sagen, es war dort sehr sehr urig.
Für uns gab es aber leider kein Zurück mehr. Um zum Gasthof Krone zurückzulaufen, war es einfach zu spät, hungern war allerdings auch keine Option. Also beschlossen wir, möglichst einfache Speisen zu wählen, bei denen man hoffentlich nicht allzu viel falsch machen kann. Na ja, der Koch war sehr bemüht. Das half allerding nur wenig. Erinnerungen an Doldewirt wurden wach. Da hilft ja bekanntlich nur eines: Augen zu und durch.
Und morgen erwartete uns ein – aus der Not geboren – sehr individueller Jakobsweg.
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