Maximale Höhe: 912 m
Minimale Höhe: 657 m
Gesamtanstieg: 555 m
Gesamtabstieg: -791 m
Etappe 20 | Münchner Jakobsweg | Weitnau – Grünenbach – Weiler-Simmerberg
Die nette ältere Schwäbin, bei der wir heute übernachten durften, brachte uns ein sehr reichhaltiges Frühstück auf einem Tablett und stellte es auf eine Kommode vor unserem Zimmer. Sie musste bald weg und wollte sich noch von uns verabschieden. Mit einem „Vergelt‘s Gott“ bedankte sie sich bei uns. Sie war sichtlich erfreut, Jakobspilger bei sich empfangen zu dürfen. Dabei hatten wir zu danken, was wir natürlich auch taten. Jeden Tag sind wir unheimlich dankbar dafür, ein Dach über dem Kopf zu bekommen, eine erfrischende Dusche zu genießen und in sauberen Betten zu schlafen.
Der Jakobsweg von Weitnau nach Simmerberg beträgt rund 27 Kilometer. Solch lange Etappen halbieren wir sehr gerne und suchen uns in der Mitte der Strecke eine Unterkunft. Aber wie sehr wir uns auch verrenkten, es gab einfach keine Möglichkeit, irgendeine Bleibe auf dem Weg zu finden. Und einfach drauflos zu laufen und zu hoffen, es wird sich magisch eine Möglichkeit finden unterzukommen, ist für uns keine Option. Es half alles nichts, eine radikale Lösung musste her: der Bus! Beim Bus allein blieb es allerdings nicht. Wir bastelten uns einen komplett eigenen Weg, unseren eigenen Jakobsweg. Nur so war es für uns möglich, die Entfernung zwischen Weitnau und Simmerberg zu bewältigen.
Auf den ersten fünf Kilometern ging es recht flach zu, ohne nennenswerte An- oder Abstiege. Die Höhenmeter, die wir heute zu bewältigen hatten, lagen noch vor uns. Und bevor es zur Sache ging, machten wir eine kleine Pause in St. Wendelin in Sibratshofen, einer hellen und schlichten Dorfkirche.
Nach weiteren zwei Kilometern tauchten wir in einen Wald ein. Der parallel zum Schüttentobelbach verlaufende Weg brachte uns bis zum Eistobel-Wanderweg. An der zweiten Brücke über den Fluss Obere Argen fanden wir ein Drehkreuz vor, das erst nach dem Entrichten einer Eintrittsgebühr von 3,50 € pro Person Durchlass gewährte. Bevor wir uns in das Abenteuer „Eistobel“ stürzten, machten wir eine Picknickpause auf der davor stehenden Bank.
Einige Ausflügler waren an diesem Tag unterwegs, allesamt mit kleinen Tagesrucksäcken. Irgendwie fühlte ich mich mit unseren großen Rucksäcken unbehaglich. Wahrscheinlich hat uns niemand große Beachtung geschenkt, trotzdem fühlte ich mich beobachtet und etwas fehl am Platz. Ich denke, das lag daran, dass wir zwei doch so weit weg vom Jakobsweg unterwegs waren. Wir als Jakobspilger hatten dort einfach nichts verloren. Völlig bescheuert, aber nur so kann ich mir dieses komische Gefühl erklären.
Das Naturerlebnis Eistobel bot einige Attraktionen wie: einen umgestürzten Baum, unter dem man durchkriechen musste, beeindruckende Felsformationen, furchterregendes Wurzelwerk als Treppenhilfe (zumindest war es an diesem Tag trocken), rauschende Wasserfälle und jede Menge Höhenmeter. Obwohl wir nur einen kleinen Teil des Eistobel-Wanderweges gegangen waren, hat das, was wir gesehen hatten, einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Nach dem Wasserfall am Eissteg verließen wir den Eistobel-Wanderweg und gingen Richtung Grünenbach. Wir befanden uns immer noch im Wald und der Aufstieg nach dem Wasserfall war mörderisch und zog sich endlos. Ich musste alle paar Meter verschnaufen und fühlte mich von anderen, schnelleren Wanderern verfolgt und getrieben. Und zu allem Übel waren die ohnehin rar gesäten Bänke restlos belegt. Ich fluchte innerlich.
Seit Tagen hatte ich Schmerzen beim Gehen weswegen ich täglich Schmerzmittel nahm. Das drückte mächtig auf die Stimmung. Wenn ich dazu noch so viele Zeugen meines Leidens um mich herum habe, bin ich wahrlich not amused, also war es höchste Zeit, diese touristische Hölle hinter sich zu lassen.
Und endlich sahen wir die Erlösung: eine freie Bank kurz vor dem Waldende. Die sicherten wir uns prompt. Was für ein Glück!
Nach der wohlverdienten Pause schauten wir zu, dass wir den Bus um 14:25 in Grünenbach erreichen und nicht noch zwei weitere Stunden auf den nächsten warten müssten. Trotz der ganzen Strapazen waren wir recht gut in der Zeit, sodass wir uns noch die Grünenbacher Kirche St. Ottmar anschauen konnten.
Zu gegebener Zeit begaben wir uns zur Bushaltestelle, klatschten uns am Wegesrand auf den Boden und warteten erschöpft aber froh auf den Bus. Die Busfahrt war ein Segen und unsere Rettung. Unterwegs erblickte ich ein Schild, auf dem stand: „Lindau 33 km“. Mit einem Auto ein Katzensprung, aber nicht für uns. Verrückt.
Wir stiegen in Weiler im Allgäu aus. Es ist die erste Ortschaft hinter Simmerberg, wo wir nämlich eine Nacht bei einer pilgerfreundlichen älteren Dame reserviert hatten, die den Pilgern eine ganze Ferienwohnung im Dachgeschoss ihres Hauses zur Verfügung stellt. Aus Altersgründen biete sie kein Frühstück mehr an, warnte sie uns im Vorfeld. Das war kein Problem für uns. Am nächsten Tag planten wir einfach einen Bäcker oder Ähnliches aufzusuchen. Sichere Bleibe für die Nacht war das Allerwichtigste.
Und wie könnte es anders sein: Es war wieder einmal das letzte Haus am Rande der Ortschaft und das natürlich wieder auf einem Hügel. Aber was will man machen? Wir waren froh, untergekommen zu sein.
Unsere heutige Gastgeberin trafen wir in ihrem gepflegten Garten an. Sie bat uns ins Haus hinein und nach Abstreifen unserer Wanderschuhe erklommen wir gemeinsam den zweiten Stock, in dem sich die besagte Ferienwohnung befand. Ein ganzes kleines Reich ganz für uns.
Sie erklärte uns die Hausregeln und bat uns, die Küchenzeile nicht zu benutzen. Sie erinnerte uns daran, dass es morgen kein Frühstück gäbe und, weil sie morgen früh einen Arzttermin habe, wir das Haus sehr früh verlassen müssten. Ihre freundliche, aber dennoch bestimmte Art erinnerte mich an meine Tante aus Paderborn, bei der ich eine Zeitlang wohnen durfte. Aber ich schweife ab. Zurück zu Hier und Jetzt: Kein Frühstück, keine Küche, kein Problem. Nur das frühe Aufbrechen morgen…
Die Sache stellte sich wie folgt dar: Morgen sollte es den halben Tag regnen, am stärksten in der Früh. Wir wollten den heftigsten Regen abwarten und etwas später losgehen. Gegen neun Uhr sollte der stärkste Regen nachlassen und in einen leichteren Dauerregen übergehen. Von der Zeit her konnten wir uns das leisten, wir hatten eine recht kurze Etappe vor uns.
Wir baten die Dame, das Haus ein kleines Stündchen später verlassen zu dürfen. Die Verhandlungen gestalteten sich zwar etwas zäh, letztendlich gab sie sich aber doch noch einen Ruck und ließ uns gewähren. Wir sollten beim Verlassen der Ferienwohnung ja den Schlüssel im Schloss stecken lassen und nicht versehentlich mitnehmen, was wir ihr hoch und heilig versprachen. Die Kontrolle abzugeben und auf andere zu vertrauen, fällt nicht jedem leicht. Kann ich verstehen.
Nun machten wir es uns in der Ferienwohnung gemütlich. Wegen meiner Fußschmerzen beschloss ich nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Ich hatte keine Kraft mehr den Hügel runter und wieder rauf zu gehen. Mein Spross ging dann doch noch runter zum Italiener Pizza essen. Ich nahm mit dem restlichen Proviant des Tages vorlieb und war froh, nirgends mehr gehen zu müssen. Der schöne Ausblick aus dem Fenster genügte mir vollkommen.
Später mit Studentenfutter als Nachtisch ließen wir den Tag ausklingen.
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