Maximale Höhe: 880 m
Minimale Höhe: 628 m
Gesamtanstieg: 435 m
Gesamtabstieg: -347 m
Etappe 21 | Münchner Jakobsweg | Weiler-Simmerberg – Scheidegg
Des heftigen Regens wegen ließen wir uns heute früh mehr Zeit als sonst bei der Morgenroutine und brachen erst kurz vor neun auf.
Mangels eines Frühstücks in der Unterkunft steuerten wir zunächst einen Supermarkt an, um uns mit Essen einzudecken. Auf dem Weg dahin machten wir einen Abstecher zur St.-Blasius-Kirche im Ortskern von Weiler im Allgäu. Ich fand die Anordnung der jeweils zwei Nebenaltäre rechts und links des Hauptaltars interessant, da sie zueinander schauten.
Der Hunger trieb uns alsbald zum Supermarkt weiter. Da es draußen immer noch ungemütlich und kein Ende des Regens zu erwarten war, konnten wir uns mit dem eingekauften Essen nicht auf eine Bank setzen. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns eine Ecke vor dem Ausgang zu suchen und dort ein schnelles Frühstück zu veranstalten. Es war nicht die angenehmste Situation, sich von den Kunden an den Kassen beobachtet zu fühlen, aber da mussten wir jetzt durch.
Zum Schluss trafen wir dort noch unsere Gastgeberin, die nach ihrem Arzttermin noch im Supermarkt einkaufen wollte. Auf diese Weise konnte sie sich sicher sein, dass wir ihr Haus bereits verlassen hatten. Auch uns gab dieses zufällige Treffen ein gutes Gefühl.
Nun ging es für uns zurück zum Jakobsweg. Im Weiler können die Jakobspilger zwischen zwei Varianten des Jakobsweges wählen, je nachdem, ob sie Lindau oder Bregenz als ihr Ziel zum Abschluss des Münchner Jakobsweges bevorzugen.
Noch vor ein paar Tagen hatten wir vor, den Jakobsweg im Lindau am Bodensee zu beenden. Beeinflusst von Helga, der Herbergsmutter aus Marktoberdorf, und Bettina, der lieben Jakobspilgerin, die wir auf dem Weg nach Weitnau getroffen hatten, entschieden wir uns über Scheidegg nach Bregenz zu gehen. Es ist die südliche der beiden Varianten.
Der Bregenzer Straße folgend erreichten wir die Wendelinskapelle am Ortsrand. Da wir eine recht kurze Etappe zu gehen hatten, erlaubten wir uns, längere Pausen in den Sakralbauten zu machen. Sie boten eine gute Zufluchtsmöglichkeit bei dem regnerischen Wetter.
Auf dem Weg nach Böserscheidegg ließen wir den Schlenker nach Altenburg buchstäblich links liegen und gingen weiter gerade aus.
Da wir gut in der Zeit waren, das Wetter immer noch ungemütlich war und sich der kleine Hunger meldete, kehrten wir bei „Seruga“ – einer Kombi aus Bäckerei und Café – ein. Es wurde nicht nur Süßes, sondern auch Herzhaftes angeboten. Wir bestellten beide jeweils ein Paar Würste mit Senf und Brezen. Die Art der angebotenen Wurst kannten wir noch nicht und wollten was Neues probieren. Die Bedienung beschreib sie als: „Ähnlich der Wiener in Form einer Regensburger“. Damit konnten wir was anfangen. Also ran an den Speck… äh Wurst. Neben einem Glas Tee bestellte ich mir noch heiße Schokolade mit Sahne.
Als wir so gemütlich schlemmten, hörten wir im Eingangsbereich jemanden das Wort „Jakobsweg“ sagen. Ich vermutete eine Pilgerin oder einen Pilger und war schon sehr gespannt, wer da gekommen ist. Und plötzlich taucht neben unseren Tisch eine von oben bis unten dunkelgrün eingemummte Person auf: die Bettina! Was für eine Überraschung! Damit hatten wir wahrlich nicht gerechnet.
Die Wiedersehensfreude war groß. Nachdem sie sich aus ihren nassen Umhängen befreit hatte, setzte sie sich zu uns an den Tisch und bestellte ein Stück Kuchen und Latte Macchiato.
Bettina erzählte uns von ihren letzten Abenteuern auf dem Jakobsweg und auch einiges aus ihrem Leben. Beides fanden wir höchst interessant. Dass sie eine begeisterte Pilgerin ist, wussten wir bereits. Wir erfuhren, dass sie in Frankreich auf dem Jakobsweg unterwegs war und dort leider von einem Auto angefahren wurde. Sie kam ins Krankenhaus und wurde dort medizinisch versorgt. Später in Deutschland musste sie des Unfalls wegen mehrfach operiert werden. Da sind meine Beschwerden nichts dagegen, wurde mir klar.
Auch begegnete sie gestern zwei anderen Pilgern: einem Veganer, der sein Essen mitschleppte und in drei Monaten in Santiago de Compostela ankommen wolle und seinem Freund, der ihn für zwei Wochen begleitete. Der schlanke Veganer hatte das Vergnügen, einen 19 kg schweren Rucksack zu tragen. Für mich unvorstellbar. Mein knapp 11 kg wiegender Rucksack (ohne Proviant) reichte mir vollkommen!
Eine Zeitlang liefen die Drei zusammen, dann ließ Bettina sie ziehen. Auf Dauer waren ihr die Jungs dann doch zu schnell. Und in der letzten Nacht auf dem Bauernhof, wo sie übernachtete, plagten die Mücken sie so sehr, dass sie um drei Uhr sehr verzweifelt war und fast im Begriff aufzustehen. Zum Glück kam sie auf die glorreiche Idee, sich mit der mitgenommenen Tigersalbe einzucremen und sie offen stehen zu lassen. Das half. Die Plagegeister gaben endlich Ruhe.
Dann war da noch der heutige Regen. Bettinas Regenjacke gab im Nackenbereich nach und ließ das Regenwasser durch. Also kloppte sie an einer Tür mit der Bitte, einen alten Regenschirm abkaufen zu dürfen. Sie bekam einen Regenschirm geschenkt. Soweit so gut. Heute bereute sie allerdings, dass sie ihre Gamaschen vor einiger Zeit des Gewichtes wegen per Post nach Hause geschickt hatte. Sie hätte sie heute gut gebrauchen können, bedauerte sie. Doch dann bastelte sie sich einfach welche aus Plastiktüten. Wie kreativ! Darauf muss man erst mal kommen. Einfallsreichtum kann auf dem Jakobsweg sehr nützlich sein.
Nun wurde es endlich Zeit, den Weg fortzusetzen. Auf Bettinas Vorschlag, gemeinsam weiterzugehen, konnte ich nicht eingehen. Wir haben unterschiedliche Gehgeschwindigkeiten und außerdem fürchtete ich, dass ich – schmerzgeplagt wie ich bin – einfach keine gute Wegbegleiterin wäre.
Da wir heute ohnehin dasselbe Ziel hatten, nämlich die Pilgerherberge in Scheidegg, würden wir uns einfach dort wieder sehen und den Abend gemeinsam verbringen.
Wir ließen Bettina den Vortritt und machten uns eine Weile später auf den Weg. Bevor wir Böserscheidegg verließen, besuchten wir die kleine Kapelle am Ortsrand. Sie wurde den Heiligen Anton und Katharina gewidmet.
Alsbald erreichten wir Scheidegg. Als erste Amtshandlung suchten wir die Kapelle St. Gallus auf, in deren Inneren bildlich der Abschied der beiden Mönche St. Gallus und St. Magnus dargestellt wird. Dieses Ereignis soll der Sage nach Scheidegg den Namen gegeben haben.
Heute besuchten wir einen Sakralbau nach dem anderen. Der nächste im Bunde war die Kirche St. Gallus, dicht gefolgt von der St.-Anna-Kapelle.
Kurz darauf liefen wir unserer Pilgerfreundin Bettina geradewegs in die Arme. Sie hatte bereits das Pilgerzentrum aufgesucht, aber weil es noch geschlossen war, deponierte sie ihren Rucksack kurzerhand in der dazugehörigen Kirche. In bequemen Freizeitschuhen lief sie noch ein wenig in der Gegend herum und so kam es, dass wir aufeinander stießen. Sie schloss sich uns an und begleitete uns die letzten Meter zur Kirche.
In der Kirche angekommen, riefen wir den Herbergsvater Werner an und erwischten ihn telefonisch gerade beim Einkaufen. In circa zwanzig Minuten wäre er zurück, informierte uns der Mittsiebziger. Das Warten fiel mir allerdings nicht leicht, denn ich musste sehr dringend auf die Toilette. Das war schon länger der Fall. Bereits vor einiger Zeit merkte ich, dass mein Bauch ungewöhnlich rebelliert und ich hatte die „Wiener in Regensburger-Gewand“ von vorhin in Verdacht. Was anderes konnte ich mir nicht vorstellen. Wer weiß, welche Zutaten der feingemahlenen Wurst beigemischt worden waren. Nun gut, die paar Minuten werde ich wohl noch aushalten können, ermunterte ich mich selbst.
Irgendwann hatte das Warten ein Ende und wir wurden vom Werner in Empfang genommen. Er ließ es sich gleich am Anfang nicht nehmen, einen Kommentar über die Größe und Schwere unserer Rucksäcke abzugeben. Ja, ist gut. Wir haben es verstanden. Wir müssen unbedingt ausmisten.
Ich suchte die heißersehnte Toilette sogleich auf. Bei einem einzigen klärenden Toilettenbesuch blieb es allerdings nicht. Von meinen Darmbeschwerden hatte ich den ganzen Abend was. Zwar hatte ich den Namen dieser mysteriösen Wurst vergessen, ihre explosive Wirkung bleibt mir jedoch für lange Zeit schmerzhaft in Erinnerung.
Sorry, dass ich dieses Erlebnis etwas genauer schildere. Der Zugang zu einer ordentlichen Toilette ist auf dem Jakobsweg neben Essen, Duschen und sauberem Bett durchaus ein Thema. Da das Laufen mit leerem Magen, voller Blase und müden Knochen herausfordernd ist, muss dem Ganzen entsprechende Abhilfe verschafft werden und die Erfüllung dieser Wünsche ist nicht immer leicht.
In der schönen Scheidegger Pilgerherberge wurden wir drei Pilger auf zwei Zimmer verteilt. Herrlich! Wir zwei Hübschen hatten ein Sechserzimmer ganz für uns alleine. Ich fackelte nicht lange rum und ging schnell duschen. Auch das Duschen wurde neben den Toilettengängen zum Erlebnis der anderen Art: Als ich den Wasserhahn aufdreht hatte, kam eiskaltes Wasser raus, auch längeres Warten auf warmes Wasser brachte nichts. Da ich keine Lust hatte, ungeduscht wieder in die verschwitzten Klamotten zu steigen, um das kalte Wasser zu reklamieren, stellte ich mir stattdessen vor, ich würde unter einem Wasserfall stehen. Augen zu und durch, war die Devise. Häppchenweise, vor Kälte nach Luft schnappend säuberte ich meinen Körper. Haarewaschen wurde erwartungsgemäß zu einem schwierigen Unterfangen. Mein Gehirn gefror immer wieder und war ganz gewiss not amused.
Bettina ging es beim Duschen auch nicht viel besser. Sie hatte abwechselnd heißes und kaltes Wasser. Werner wunderte sich über die Launen des Wassers und schaute nach, woran es lag. Das Ergebnis seiner Untersuchung erfuhr ich nicht mehr. Es war mir zugegebenerweise auch ziemlich egal. Ich hatte eh nicht vor nochmal zu duschen.
Später am Abend zauberte Werner uns ein grandioses Drei-Gänge-Menü und servierte dazu einen trockenen Wein. Obwohl ich keine begeisterte Weinliebhaberin bin, ließ ich mich doch dazu verleiten, ein wenig davon zu probieren. Ich vertrage wahrlich nicht viel und muss außerdem aufpassen, in welcher Stimmung ich mich gerade befinde. Der Alkohol verstärkt bei mir die Gefühle und wenn die Grundstimmung schmerzbedingt nicht die hellste ist, könnte es durchaus passieren, dass ich zu einer weniger angenehmeren Gesprächspartnerin mutiere. Ich fürchte, ich hatte mich an diesem Abend zu sehr auf politische Themen gestürzt, was nicht gerade förderlich für gute Laune ist. Trotzdem fand ich den Abend sehr schön und interessant.
Auch der schönste Abend geht irgendwann zu Ende. Werner wollte natürlich noch die Küche aufräumen, also zogen wir uns alle zeitig in unsere Zimmer zurück. Ich schrieb – wie jeden Abend – in meinem Reisetagebuch. Dieses Jahr führte ich mein Tagebuch um einiges ausführlicher als letztes Jahr, sodass mein neuer Schreibstift letztendlich den Geist aufgab. Um den heutigen Eintrag zu Ende schreiben zu können, benutzte ich einfach den Kugelschreiber vom Gästebuch der Herberge, den ich danach natürlich zurückließ für andere Pilger. Morgen müsste ich mal schauen, wo ich einen neuen Stift auftreiben könnte.
Am nächsten Tag wartete der Hausberg von Bregenz – der Pfänder – auf uns. Unsere Pilgerschaft auf dem Münchner Jakobsweg neigte sich langsam dem Ende zu.
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