Maximale Höhe: 825 m
Minimale Höhe: 739 m
Gesamtanstieg: 297 m
Gesamtabstieg: -314 m
Etappe 15 | Münchner Jakobsweg | Stötten am Auerberg – Marktoberdorf
Nicht nur mir setzen die Strapazen des Jakobsweges zu. Auch Dominiks Kräfte sind nicht unendlich. Wir beide sind keine Sportskanonen, gelinde gesagt. Und so kommt es, dass wir abends sehr zeitig in den Betten liegen. Da sich gestern der WLAN-Empfang nur auf das Badezimmer beschränkte und im Schlafzimmer kein Empfang da war, gab es für Domi wenig zu tun. Und so kam es, dass, während ich selber noch in meinem Tagebuch schrieb, plötzlich ein leises genüssliches Schnarchen aus dem Bett neben mir zu vernehmen war: Mein Sohn schlief bereits um 21 Uhr den Schlaf der Gerechten. So so!
Es gibt noch eine weitere Anekdote aus der heutigen Nacht. Uns stand heute, wie bis jetzt so oft, ein Doppelbett zur Verfügung. So weit, so gut. Mitten in der Nacht wachte ich auf und merkte, dass ich total in die Mitte des Doppelbettes gerutscht bin, in die sogenannte Besucherritze. Nun, nicht nur mir passierte es. Dominik lag ebenfalls in der Mitte, mit vollem Körperkontakt zu mir. Was zum Kuckuck… Es stellte sich herauf, dass beide Hälften des Doppelbettes eine schiefe Ebene bildeten und jeder von uns dank der Schwerkraft einfach von seinem Bett in die Mitte gerollt war.
Damit sich die Situation nicht wiederholt, legte ich mich an den äußersten Rand meines Bettes auf die Seite, sodass ich mich mit beiden Händen am Bettrand festhalten konnte. Ich schlief wieder ein und träumte, dass ich auf einem Felsvorsprung liege und mich mit aller Kraft am Felsen festhalte, um nicht in den Abgrund zu stürzen. Verrückte Nacht! Ich muss bis heute immer wieder darüber lachen.
Gestern Abend, bevor wir uns auf unser Zimmer im Obergeschoß zurückgezogen hatten, instruierte uns unsere schwäbische Gastgeberin bezüglich des Frühstücks. Sie selber konnte nicht dabei sein, da sie anderweitig beschäftigt war. In der Küche fanden wir einen bereits gedeckten Tisch vor. Auch hier gab es wieder selbstgemachten Apfelsaft, wie schon einmal auf dem Bauernhof in Haid bei Wessobrunn. Wie nett!
Gut gestärkt brachen wir auf. Zunächst nahmen wir eine kleine Abkürzung zum Jakobsweg zurück, die uns die nette Schwäbin gestern empfohlen hatte.
Zum Glück herrschte heute trockenes Wetter. Dafür war es recht windig und so zogen wir die Kapuzen unserer Windbreaker über unsere Hüte. Kleine, leichte Schals wären nicht schlecht gewesen, zumal sich bei mir in der letzten Zeit die ersten Erkältungssymptome angekündigt hatten. Die Packliste für das nächste Mal auf dem Jakobsweg wird definitiv um leichte Schals und Mützen erweitert.
Wenig später durchquerten wir einen Wald, der wegen des bedeckten Himmels recht düster war. Nachdem der Wald uns zwei Rotkäppchen wieder ausgespuckt hatte, drehte ich mich um und erschrak förmlich: So dunkel, beinahe schwarz war der Wald! Ich war froh, nicht alleine unterwegs zu sein. Ich hätte mich sonst nicht getraut, in diese Schwärze hineinzugehen. Meine Fantasie spielt mir in solchen Situationen gerne einen Streich und ich muss sehr dagegen ankämpfen. In dunklen Wäldern riskiere ich lieber keinen Blick nach rechts oder links in den Wald hinein, sondern konzentriere mich auf den Weg.
Die heutige Etappe verlief anfangs recht flach. Erst später gab es kleine Hügel zu bewältigen, Voralpenland eben. Auch kamen wir heute wieder in den Genuss der „Landluft“, besser gesagt des „Landgestanks“, so penetrant war der Geruch. Nun ja, kein Wunder, schließlich führte der Jakobsweg direkt an Bauernhöfen vorbei. Und so kam es, dass der geteerte Weg auch mal mit riesigen Hinterlassenschaften der Kühe zugepflastert war. Es war wie eine Allegorie fürs Leben: Mal läuft es einfach und schön, mal gibt es eine Kuhfladen-Challenge.
In Bertholdshofen kehrten wir beim Königswirt zu Mittag ein. Es ist ein wunderschöner, frisch renovierter Landgasthof mit einer hervorragenden Küche. Wir nahmen in der Königsstube Platz und ließen uns kulinarisch verwöhnen. Ich hatte die Kohlkrapfen mit Gemüse, Dominik bestellte Allgäuer Kässpatzen. Obwohl ich kein Mensch bin, der andauernd sein Essen fotografiert, konnte ich diesmal nicht anders, als unsere Gerichte fotodigital zu verewigen.
Im Festsaal gegenüber liefen Vorbereitungen für eine Hochzeit, die am morgigen Samstag stattfinden soll, auf Hochtouren. Mei, muss des schee sei, hier eine Hochzeit zu feiern!
So schön es beim Königswirt auch war, irgendwann kam die Zeit zum Weitergehen. Beim Verlassen der Ortschaft erreichte uns wieder mal der freundliche Zuruf der Jakobspilger: „¡Buen Camino!“. Diesmal kam er von einem sportlichen Radfahrer. Diesen Ruf zu hören, freut mich jedes Mal aufs Neue. Es gibt mir ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer größeren Menschengruppe, die ein gemeinsames Ziel hat: die Pilgerschaft auf den verschiedensten Jakobswegen.
Irgendwann am Nachmittag erblickten wir, wie so oft, vom Jakobsweg aus unser heutiges Tagesziel: die Stadt Marktoberdorf. Die wunderschöne, mit alten Linden gesäumte Kurfürstenalle führte uns in die kleine Stadt hinein. Wir fanden es lustig, gleich drei Ortsarten gleichzeitig auf einem Ortsschild zu sehen: Stadt, Markt und Dorf.
Zunächst suchten wir die Kirche auf, wo wir uns die Pilgerstempel holten. Danach ging es zu unserer heutigen Übernachtungsstätte. Diesmal war es kein Hotelzimmer, keine Pension und auch kein Privatzimmer. Nein! Heute durften wir in einer privaten Pilgerherberge unser Zimmer beziehen: Elfies Pilgerquartier.
Die Pilgerherberge, die von Elfie und ihrem Mann Erhard auf die Beine gestellt wurde, ist eine echte Institution und absolute Seltenheit in der Region. Die offiziellen Wegweiser unterstreichen den einzigartigen Charakter dieser Unterkunft. Dominik sah vor seinem inneren Auge ein Haus, dessen Fassade regelrecht mit Jakobsmuscheln ausgepflastert sein dürfte. Diese Vorstellung war zwar übertrieben, dafür aber sehr witzig.
Elfie nahm uns sehr herzlich in Empfang. Nach einem netten Plausch wurden wir in ein Register aufgenommen, mit Altersangabe wohlgemerkt, wahrscheinlich für die eigene Statistik. Dann wurden unsere Pilgerausweise akribisch studiert und mit einen eigens für die Herberge hergestellten Stempel verziert. Das ganze Prozedere hatte etwas von einem Behördengang. Es war amüsant.
Die Herbergseltern Elfie und Erhard pilgerten 25 Jahre lang auf verschiedenen Jakobswegen, jedes Jahr zwei Wochen am Stück. Auf den letzten Etappen vor Santiago de Compostela wurden sie immer langsamer, erinnerte sich Elfie, denn sie wollten ihre Ankunft hinauszögern, so lange es ging.
Irgendwann beschlossen die früheren Münchner, eine Pilgerherberge zu eröffnen. Zu diesem Zweck kauften sie ein Haus in Marktoberdorf, richteten es liebevoll ein und begannen Pilger zu empfangen. Sie leben den Camino förmlich. Das merkt man nicht zuletzt an dem im Garten aufgestellten Meilenstein mit der Aufschrift „Santiago de Compostela 2400 km“.
Nach der Registrierung wurden wir in den ersten Stock geführt, wo wir eine Einweisung bekamen und anschließend ein tolles Zimmer beziehen konnten. Sowohl im Bad als auch in unserem Zimmer kamen weitere Beweistücke zum Vorschein, die die große Liebe unserer Gastgeber zum Camino zum Ausdruck brachten und zwar in Form von allgegenwärtigen Jakobsmuscheln: auf der Tapetenbordüre, als Steckdosenabdeckung, in einer Dekoschale, als Seifenspender, Waschbeckenstöpsel oder auf der Duschvorlage. Irre, aber irre toll!
Nach dem Ablegen der Rucksäcke gingen wir einkaufen. Auf dem Weg begegneten wir einer älteren Frau, die mit ihrem Rollator die steile Straße erklomm. Was für eine Fitnessübung! Nicht schlecht!
Wieder zurück in der Herberge überlegten Dominik und ich, wie wir die nächsten Tage gestalten sollten. Die Wettervorhersage sagte drei Tage Regen voraus. Der nächste Punkt war, dass uns der Kempter Wald bevor stand. Er zieht sich ganze 12 Kilometer hin. Elfie erzählte uns obendrauf, dass sich Leute hin und wieder in diesem Wald verlaufen. Hm… Ich mit meiner Erkältung, Dauerregen und ein Wald? Nicht gerade die beste Kombi, wie ich finde. Was tun? Mein Sohn schlug vor, mit dem Zug nach Kempten reinzufahren, um den Wald zu überspringen. Einerseits ist es schade um die verpasste Strecke, andererseits geht die Gesundheit vor.
Der Fakt, dass sich der Bahnhof nur einen Kilometer von unserer Herberge entfernt befand, erleichterte uns die Entscheidung. Und so stand dann irgendwann für uns fest: Wir schenken uns den Wald und fahren morgen mit dem Zug nach Kempten. Mit diesem Plan im Kopf legten wir uns schlafen.
Wenn dir mein Blog gefällt und du mich unterstützen willst, würde ich mich über eine Tasse Kaffee (oder auch zwei oder drei…) wahnsinnig freuen. Damit kannst du meinem Blog helfen, weiter zu wachsen. Vielen Dank und wir sehen/lesen uns auf meinem Blog oder in den sozialen Medien!